Auf Initiative von Burg Hülshoff - Center for Literature (CfL) und auf Einladung von Donat Blum, Lann Hornscheidt und Ronya Othmann kamen vom 13. bis 15. November etwa zwanzig Autor:innen aus dem deutschsprachigen Raum auf Burg Hülshoff zusammen. Sie alle verbindet "queeres Schreiben". "Queer" als kleinster gemeinsamer Nenner bezieht sich auf ein Schreiben und Erzählen, das zweigeschlechtliche, heteronormative Muster zu überwinden versucht.
Beim ersten Autor:innen-Treffen "Queeres Erzählen" ging es den Kurator:innen Donat Blum, Lann Hornscheidt, Ronya Othmann und dem Center for Literature vor allem darum, einen offenen Raum für Begegnung zu schaffen. "Es ging uns in erster Linie um ein Kennenlernen, um Vernetzung, aber auch darum, den Anstoß zu intensiven Diskussionen zum Titelthema mit den Schwerpunkten Inhalt und Struktur zu geben. Wichtig waren uns die gegenseitige Solidarisierung, historische Kontextualisierung, politische Positionierungen - alles in großer Vielschichtigkeit", so Hornscheidt über die Erwartungen. In den drei Tagen wurden grundlegende Fragen angesprochen: Was ist queeres Erzählen überhaupt? Welche Rolle spielen das eigene Leben, das Erfahrungswissen, die eigenen Diskriminierungserfahrungen aber auch eigene Privilegierungen für das Schreiben? Welche Rahmenbedingungen sind notwendig für queere Literatur?
Eingeladen waren Personen aus unterschiedlichen professionellen Positionen, die queeres Erzählen im deutschsprachigen Raum aktuell prägen. Darunter befanden sich die:der Deutsche und Schweizer Buchpreisträger:in Kim de L’Horizon, die:der Slampoet:in Siham Karimi und Theatermacher:innen wie Lynn Musiol, die Themen zu Zugehörigkeit, Klasse und Queerness beschäftigen. "Die Gruppe war sehr divers in viele Richtungen: Neben Menschen, die schon lange im Literaturbetrieb sind, haben wir auch neue Stimmen eingeladen. Es gab Personen mit Mehrfachdiskrimminierungen im Feld queeres Erzählen und solche, die in diesem Rahmen ein mehrfach privilegiertes Erfahrungswissen haben," erklärt Donat Blum.
Das Spannungsfeld entfaltete sich zwischen unterschiedlichen inhaltlichen und politisch-aktivistischen Positionen. Entsprechend gab es nicht immer übereinstimmende Meinungen bei den intensiven Gesprächen auf Burg Hülshoff in Havixbeck und im Kultur- und Kneipenkollektiv leo:16 in Münster. "Dennoch hatten alle den starken Wunsch nach Austausch und Vernetzung, das war deutlich spürbar an der hohen Bereitschaft zu konstruktiven Diskussionen. Spannend war auch die Bandbreite an Vorbildern, zentralen Texten oder Held:innen, über die wir gesprochen haben: Hier reichte dir Liste von Sappho über Annette von Droste-Hülshoff bis hin zu Leslie Feinberg, Audre Lorde, Chrystos und James Baldwin," führt Ronya Othmann aus.
Neben dem Schreiben waren auch die Rahmenbedingungen queeren Erzählens im Literaturbetrieb Thema. Welche Räume, welche Finanzierungsmöglichkeiten sind gegeben? Welchen Schwierigkeiten und offenen Abwehrmechanismen müssen begegnet werden? Aus diesen Fragen heraus wurden Wünsche formuliert und Strategien ausgetauscht, wie trotzdem eine Öffentlichkeit gefunden und erreicht werden kann. Der Wunsch nach Folgeveranstaltungen, die ein Netz und die Solidarität unter queeren Schreibenden stärken, war und ist sehr groß. Jörg Albrecht vom Center for Literature freut sich über den Auftakt, der auf Burg Hülshoff dank großzügiger Förderung vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, dem Deutschen Literaturfonds sowie dem Ad*S (Autorinnen und Autoren der Schweiz) möglich war: "Wir gehen mit vielen offenen Fragen aus der Veranstaltung, aber auch mit einer erhöhten Sensibilität für unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen an ein solches Treffen." Auch die Kurator:innen sind sich sicher, dass es nach der Auswertungsphase neue und weitere Initiativen geben wird, die möglicherweise thematisch stärker ausdifferenziert sind. Es bleibt noch viel zu besprechen.

Dabei waren Eser Aktay, Lilly Axster, Donat Blum, Káska Bryla, Jchj v. Dussel, Alexander Graeff, Joachim Helfer, Anna Hetzer, Leonie Hoh, Kim de l’Horizon, Lann Hornscheidt, Yael Inokai, Siham Karimi, Anja Kümmel, Kes Otter Lieffe, Jamie McGhee, Selma Matter, Lynn Musiol, Jara Nasser, Jennifer de Negri, Ronya Othmann, Tucké Royale, Angela Steidele und Eva Tepest.
Donat Blum (*1986 in Schaffhausen, Schweiz) studierte Interreligiöse Studien sowie Literarisches Schreiben im Schweizerischen Literaturinstitut in Biel sowie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Er ist Mitbegründer des LGBTIAQ+-Filmfestivals Queersicht in Bern sowie Initiator und Mitherausgeber von Glitter - Die Gala der Literaturzeitschriften, der ersten queeren Literaturzeitschrift im deutschsprachigen Raum. Blums Debütroman "Opoe" erschien 2018 im Ullstein Verlag.
Prof.ens Dr.ens Lann Hornscheidt (*1965) wurde 2004 von der Humboldt-Universität zu Berlin in skandinavistischer Linguistik habilitiert. Hornscheidt versteht sich als genderfrei, beschäftigt sich mit Gender Studies und SprachHandeln und hatte bereits zahlreiche Gast- und Vertretungsprofessuren im Themenfeld Gender und Sprache inne. 2017 kündigte Hornscheidt die Professur an der Humboldt-Universität und gründete 2011 zusammen mit Ja'n Sammla das diskriminierungskritische Projekt xart splitta. 2014 erfolgte die Gründung des Verlags w_orten & meer, wo zuletzt der Titel "Sprachhaltung zeigen. Ein Argumentationsleitfaden für diskriminierungskritisches Sprechen und Schreiben" erschien.
Ronya Othmann (*1993 in München) studierte am Schweizer Literaturinstitut in Biel sowie seit 2014 am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Othmann arbeitet als Autorin und verfasst Lyrik, Prosa und Essays. Als Journalistin schreibt sie u.a. für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Spiegel oder zusammen mit Cemile Sahin die Kolumne "OrientExpress" in der taz. Im Hanser Verlag erschien 2020 ihr Debütroman "Die Sommer!, der erste Gedichtband !die verbrechen! 2021. Ihre Themen sind deutsche Außenpolitik im Nahen Osten, der Genozid an den Ezîden (Jesiden), Trauma, Flucht, Migration, kurdische Themen, queere Themen, Rassismus, Gewalt und Diskrimminierung.