
Feierstunde zum Nelly Sachs-Preis 2023
Alle zwei Jahre vergibt die Stadt Dortmund den renommierten Literaturpreis, der nach der deutschen Lyrikerin und ersten Preisträgerin Nelly Sachs benannt ist. Er ehrt und fördert Persönlichkeiten, die überragende literarische Leistungen hervorgebracht haben und besonders zur Verbesserung der kulturellen Beziehungen zwischen den Völkern beitragen. In diesem Jahr geht der Preis an den deutsch-bosnischen Schriftsteller Saša Stanišić.
Saša Stanišić hat die Nachricht erfreut entgegengenommen und angekündigt, zur Verleihung nach Dortmund zu kommen. In einer ersten Reaktion bedankt sich der Autor mit einem Nelly-Sachs-Zitat: "'Alles beginnt mit der Sehnsucht' - so beginnt Nelly Sachs ein Gedicht", sagt Saša Stanišić. "Meine sehr frühe Sehnsucht waren Geschichten und sind es noch immer: zuhören, erzählen. Meinen aufrichtigen Dank, dass Sie ihnen mit diesem Preis Vertrauen schenken."
Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad (Jugoslawien) geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Er veröffentlichte die Romane Wie der Soldat das Grammofon repariert (2006), Vor dem Fest (2014) und Herkunft (2019), den Erzählband Fallensteller (2016) sowie zuletzt mehrere Kinderbücher. Seine Werke wurden in über 30 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Saša Stanišić erhielt u.a. den Preis der Leipziger Buchmesse für "Vor dem Fest" und zuletzt für "Herkunft" den Deutschen Buchpreis 2019, sowie u.a. den Eichendorff-Literaturpreis, den Schillerpreis und den Hans-Fallada-Preis. Er lebt und arbeitet in Hamburg.
Aus der Begründung der Jury: "Mit Saša Stanišić wird kein unbekannter Schriftsteller der Gegenwartsliteratur ausgezeichnet, sondern einer, der von seinem ersten Buch an Leserinnen und Leser verschiedener Generationen konstant begeistert. Seine Werke zeichnen insbesondere eine sprachliche Virtuosität, eine komplexe Handlungsführung, authentische Figuren und raffiniert und präzise gestaltete Romanwelten aus. Zudem macht sein spielerischer Umgang mit der Form und den Grenzen der Sprache und des Erzählbaren die Rezeption seiner Romane zu einer intellektuellen Unterhaltung im besten Sinne. Dabei macht er die Fluchterfahrung zu einem zentralen Moment seines Schreibens. Und wie Nelly Sachs mit den literarischen Traditionen ihrer Herkunft nicht gebrochen hat, so setzt auch Stanišić den Erzählreichtum der Balkankulturen fort. Dabei zeichnet sich sein Schreiben stets durch das Bemühen aus, noch das Unangenehmste, das ihm und seiner Familie erst in Jugoslawien und dann auch in Deutschland zugestoßen ist, mit Ironie und Witz zum Thema zu machen, ohne dabei etwas zu verharmlosen. Vor allem jedoch entwickeln seine Texte eine außergewöhnliche Sogkraft, die es den Lesenden ermöglicht, sich restlos in die Figuren hineinzuversetzen. Durch dieses Potential der emotionalen Identifikation gestattet er seinen Leserinnen und Lesern, die beschriebenen Erfahrungen nicht nur zu verstehen, sondern sie geradezu zu durchleben. So eröffnet Stanišić eine einzigartige Dimension der Verständigung, die auf einer emotionalen Ebene Kulturen und Menschen miteinander verbindet."