Mirjam Wittig: An der Grasnarbe

Wahlverwandt und einander ebenbürtig, sympathisch und außerordentlich: Congenial sind die Schriftsteller:innen und Musiker:innen, die die Konzert-Lesungen im Consol Theater auf der ehemaligen Zechenanlage Consolidation in Gelsenkirchen bestreiten. In der Reihe ConGenial setzt der Text das Thema und die Musik spiegelt, verstärkt oder hintertreibt ihn in ihrer eigenen Sprache. ConGenial auch der Veranstaltungsraum, die Kellerbar des Consol mit ihrer lässigen Unter-Tage-außer-der-Welt-Atmosphäre.

Atemlos, schnell, stakkatohaft und in gebrochenen Sätzen - mit einem Panikanfall in Paris beginnt Mirjam Wittigs Debütroman An der Grasnarbe (Suhrkamp, 2022). Die Geschichte folgt der Großstädterin Noa auf den Gebirgsbauernhof deutscher Aussteiger:innen in Südfrankreich. Dort hofft die junge, weltoffene Restauratorin, ihre Xenophobie zu überwinden, die sie in jedem südländisch aussehenden Mann mit Vollbart einen Attentäter sehen lässt, was ihr selbst zuwider ist. Das Leben auf dem Land erweist sich jedoch als alles andre denn abgeschieden und einfach, nicht allein wegen der Auswirkungen der Klimakatastrophe und des neuen Radikalismus von Rechts. Noa geht es im Bergdorf zunehmend besser, nur manchmal gerät sie in "den Zustand". Dann verrutscht ihr Atem und mit ihm ihre Sätze. Zwischendurch gibt es Momente der Ruhe, des Glücks, mit dem Mädchen Jade etwa oder allein auf dem Gebirgskamm … 

Das Akkordeon atmet, ein und aus, nervös oder meditativ, es seufzt, ächzt, singt oder brüllt, erhebt und erschüttert - und macht den Atem spürbar, der alles Leben durchdringt. Von Choral bis Cluster: mit Sofia Gubaidulinas "Et exspecto" lässt Pavel Efremov all seine Facetten durchleben. Sergey Voitenkos "Revelation" lässt Harmonie und Frieden aufscheinen, und mit seiner "Rumänischen Suite" greift Efremov Volksmusik seiner Heimat auf - fernab von jeder "braunen" Ideologie. 

Mirjam Wittig wurde 2019 und Pavel Efremov 2021 mit dem GWK-Förderpreis ausgezeichnet. "ConGenial" ist eine Reihe des Consol Theaters Gelsenkirchen und der GWK-Gesellschaft für Westfälische Kulturarbeit, Münster.

Eine Veranstaltung im Rahmen von lila lettern - literatur aus westfalen des Netzwerks literaturland westfalen, gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW und den Landschaftsverband Westfalen-Lippe.