Hochaktuell vor historischem Hintergrund, einzigartig und beeindruckend, war die Auftaktveranstaltung der Westfälischen Friedensgespräche 2023 im Historischen Rathaus in Münster, zu der das Westfälische Literaturbüro in Unna e.V. (WLB) in Kooperation mit der Stadt Münster am 24. September eingeladen hatte. Gut 150 Gäste kamen in den Festsaal, um bei dem hochkarätig besetzten internationalen Podium dabei zu sein, das anhand des Katalonienkonflikts die Frage behandelte, wie Literatur friedensstiftend wirken kann.
Die Bürgermeisterin der Stadt Münster Angela Stähler, betonte, dass die Veranstaltung besonders gut ins Historische Rathaus nach Münster passe, weil sich vor 375 Jahren genau an diesem Ort Menschen an einen Tisch setzten, um über den Frieden zu verhandeln. Und der Ideengeber, Kurator und deutsch-irakische Autor Najem Wali hob in seiner Eröffnungsrede hervor: "Es braucht Mut, den Versuch zu unternehmen, die andere Seite zu verstehen und den eigenen Standpunkt zu relativieren. José Ovejero und Jordi Puntí haben es mit ihrer literarischen Friedensverhandlung zum Katalonien-Spanien-Konflikt gewagt, ein Tabu zu brechen. Die beiden Autoren verdienen Respekt und Anerkennung."
José Ovejero und Jordi Puntí traten Anfang des Jahres in einen intensiven literarischen Gedankenaustausch. In zahlreichen E-Mails schärften und prüften sie ihre eigenen Positionen, lasen und hinterfragten die Argumente des anderen, um daraus gemeinsam neue Ansätze zur Befriedung des Verfassungskonfliktes zwischen Katalonien und der Zentralregierung in Madrid zu entwickeln. Auf der Bühne in Münster lasen nun die bekannten TV-Schauspieler:innen Kai Schumann (u.a. ZDF "Heldt") und ChrisTine Urspruch (u.a. ARD "Tatort") übersetzte Passagen aus dem Briefwechsel der Autoren. Die beeindruckende Lesung zeigte, dass sich zwei Parteien vorsichtig und respektvoll annähern können, um miteinander den Versuch zu unternehmen, eine gemeinsame Lösung für einen Konflikt zu finden.
Nach der Pause kam die Moderatorin des Abends Catalina Rojas Hauser mit der spanischen Dichterin und Philosophin Laura Casielles, José Ovejero, Jordi Puntí und Najem Wali ins Gespräch.

Auch wenn sie verschiedene Sichtweisen auf den Verfassungskonflikt hatten, waren sich alle einig: „Literatur kann helfen, die Fantasie zu erweitern, neue Fragen zu stellen und Politik aus einer neuen Perspektive zu denken“, sagte Laura Casielles, während José Ovejero die Parallelen zwischen Literatur und Politik mit den Worten beschrieb: "Jeder Schriftsteller muss als Werkzeug seine Empathie benutzen, um interessante Charaktere zu schaffen." Zwischen den Lesepassagen und Gesprächen untermalte das Duo Loco - Freya Deiting (Violine) und Jörg Siebenhaar (Akkordeon) - die Veranstaltung mit spanischen und katalanischen Klängen. Die Zuschauer:innen konnten bei sanften, melancholischen und auch mal temperamentvollen Tönen dem Gesagten nachsinnen.
Mit dem Auftakt in Münster startete unter der Schirmherrschaft von Bundesministerin Svenja Schulze das politisch-literarische Veranstaltungsprojekt "Westfälische Friedensgespräche", in dessen Mittelpunkt die Frage steht, wie Literatur friedensstiftend auf die Weltpolitik einwirken kann. An dem Veranstaltungswochenende ging es jedoch nicht nur um "Friedensgespräche", die beiden eingeladenen Autoren stellten sich auch mit aktuellen Büchern vor: Jordi Puntí las am Freitagabend in der Rohrmeisterei in Schwerte aus seinem Roman "Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz" eine kurze Passage auf Spanisch, bevor der Schauspieler Fabian Sattler den deutschen Lesepart übernahm. In einem von Najem Wali moderierten Gespräch erfuhr das interessierte Publikum, was den Autor inspiriert und inwiefern in dem Roman geschilderte Szenen der "Realität" entsprechen. Einen Tag später moderierte die aus Westfalen stammende Schriftstellerin und Generalsekretärin des internationalen PEN, Regula Venske, die Lesung mit José Ovejero im Westfälischen Literaturbüro in Unna. Der Autor stellte seinen politisch-poetischen Familienroman "Aufstand" vor, der von der spanischen Hausbesetzer:innenszene handelt. Nachdem José Ovejero mit Regula Venske über die Idee und die Figuren in dem Roman sprach, ging es erneut um Politisches. Ovejero betonte unter anderem, dass der Gewinn der Weltmeisterschaft der spanischen Nationalmannschaft nicht nur eine sportliche Errungenschaft, sondern auch eine gesellschaftliche ist. Im Anschluss an das Podium in Münster und die Lesungen kamen die spanischen Autor:innen und der Kurator Najem Wali mit dem Publikum ins Gespräch.
Fortgesetzt wird die Reihe in den nächsten Wochen mit weiteren Lesungen westfälischer Autor:innen, ehe die internationalen Gäste am Tag der Friedenspreisverleihung in Frankfurt dann noch einmal zu einem gemeinsamen öffentlichen Rückblick zusammenkommen. WLB-Leiter Heiner Remmert zieht bereits jetzt ein positives Zwischenfazit: "Mit Blick auf das letzte Wochenende lässt sich feststellen, dass es den ,Westfälischen Friedensgesprächen‘ gelungen ist, ganz unterschiedliche Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen und hoffentlich dazu anregen, weiterhin im Dialog zu bleiben." Die "Westfälischen Friedensgespräche 2023" sollen nur der Anfang für ein fortlaufendes international-politisches Literaturprojekt sein. Das WLB plant, in der Zukunft weitere Schriftsteller:innen einzuladen, Lösungsansätze zu Konflikten in ihren Ländern oder Regionen zu entwickeln - wie den Nordirlandkonflikt nach dem Brexit oder die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland.