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Große Literatur, sinnliche Verse

Stadt Münster verleiht Internationalen Poesiepreis an Diane Seuss und Franz Hofner.

Diane Seuss

Ihre Gedichte sind zum ersten Mal auf Deutsch zu lesen - und haben hierzulande sofort begeisterte Kritiken geerntet: Der Preis der Stadt Münster für Internationale Poesie geht an die US-amerikanische Dichterin Diane Seuss und ihren deutschen Übersetzer Franz Hofner. Die Stadt Münster zeichnet den zweisprachigen Band Frank: Sonette (2023, Maro Verlag, Augsburg) aus, den die Fachjury als "große Literatur" würdigt. Der Preis wird als Höhepunkt des Internationalen Lyriktreffens am 12. Mai 2024 in Münsters Erbdrostenhof vergeben.

Diane Seuss habe ein Gespür "sowohl für das sinnliche Detail, das in jedem der Gedichte aufleuchtet, als auch für den Einzelvers, der auch außerhalb seines Kontextes schön ist", so die Juror:innen. Franz Hofner habe die Sonette in ein bewegliches Deutsch übertragen, das eine vergleichbare Wirkung wie das Original erziele. Der Rat der Stadt hat den Vorschlag der Jury bestätigt.

Pulitzer-Preis für "frank: sonnets"

Seuss wurde 1956 in Michigan geboren und wuchs im ländlichen Amerika auf. Sie studierte Sozialarbeit und unterrichtete viele Jahre lang am College von Kalamazoo, einer Kleinstadt in Michigan, wo sie bis heute lebt. Diane Seuss hat insgesamt fünf Gedichtbände veröffentlicht. Für "frank: sonnets" erhielt sie 2022 den Pulitzer-Preis für Dichtung - es ist der erste Band von ihr, der ins Deutsche übersetzt wurde. Die Sonette seien "unverhohlen autobiografisch", bemerkt die Jury in ihrer Begründung, "ohne dabei jemals eitel oder exhibitionistisch zu sein". Seuss schreibt über ihren früh verstorbenen Vater, ihre Mutter mit der Vorliebe für "Fertiggerichte und James Joyce", über ihren drogenabhängigen Mann, über ihre Mutterschaft, über den an Aids erkrankten Freund, über ihre New Yorker Zeit in den angesagten Punk-Clubs. Bereits im ersten Sonett werde das benannt, was sich als das eigentliche Thema des Buches deuten lasse: "Diese rastlose Suche nach Schönheit und Auflösung."

Franz Hofner

Übersetzung, die nicht übersetzt klingt

Dem Übersetzer Franz Hofner sei es zu danken, "dass die Sonette eine vergleichbare Wirkung entfalten wie die sonnets - dass das, was übersetzt ist, nicht übersetzt klingt", schreibt die Jury. Hofner wurde 1963 in Schrobenhausen geboren, studierte Mathematik und Physik, ver­öffentlicht Rezensionen, eigene Gedichte und Übersetzungen, unter anderem im Jahrbuch der Lyrik.

Der Titel "Frank: Sonette" bezieht sich zum einen auf den Dichter Frank O’Hara. Er lässt sich aber auch als Verbeugung vor Amy Winehouse lesen, deren erste Soloplatte den Titel Frank trug (hier bezogen auf Frank Sinatra). Ein weiterer Bezug sei die eigentliche Bedeutung des Wortes "frank" im Englischen, das offen, freimütig, aufrichtig bedeutet, so die Jury. Damit sei der Titel auch ein Hinweis auf die Direktheit und Unmittelbarkeit des Tons in den 128 Sonetten.

Stadt verleiht Preis seit 1993

Seit 1993 verleiht die Stadt Münster alle zwei Jahre den Preis für Internationale Poesie. Die Auszeichnung ist mit insgesamt 15.500 Euro dotiert und entfällt je zur Hälfte auf die Autorin und den Übersetzer. Jurymitglieder sind der Schriftsteller Urs Allemann, die Literaturwissenschaftlerin Dr. Maren Jäger, die Literaturkritikerin Cornelia Jentzsch, der Autor und Literaturwissenschaftler Dr. Matthias Kniep, der Publizist Norbert Wehr und - mit beratender Stimme - Kulturausschussmitglied Lia Kirsch. Preisträger war zuletzt der Dichter Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki (Polen) mit dem Übersetzer Michael Zgodzay und der Übersetzerin Uljana Wolf.

Kulturdezernentin Cornelia Wilkens (Mitte) mit der Jury des Preises der Stadt Münster für Internationale Poesie (v.l.): Dr. Maren Jäger, Lia Kirsch, Dr. Matthias Kniep, Urs Allemann, Cornelia Jentzsch und Norbert Wehr.

Auszug aus Diane Seuss, Frank: Sonette. Aus dem Englischen von Franz Hofner, Maro Verlag, Augsburg 2023:

The problem with sweetness is death. The problem
with everything is death. There really is no other problem
if you factor everything down, which I was no good at
when studying fractions. They were always using pie
as their example. Rather than thinking about factoring
things down, I wondered what kind of pie. And here
I am, broke, barely able to count to fourteen. When
people talk about math, they say you’ll need it to balance
your checkbook. What is a checkbook and what,
indeed, is balance? Speaking of sweetness, for a time
I worked in a fudge shop on an island. After a week
the smell of sweetness made me heave, not to mention
the smell of horses; it was an island without cars,
shit everywhere. When I quit, the owner slapped me.

Übersetzung von Franz Hofner:

Das Problem mit der Süße ist der Tod. Das Problem
mit allem ist der Tod. Es gibt wirklich kein anderes Problem,
wenn man alles rausdividiert, worin ich nicht gut war,
als wir Bruchrechnen lernten. Sie hatten immer Kuchen
als Beispiel. Statt übers Dividieren nachzudenken, dachte ich,
welche Sorte Kuchen. Und heute bin ich pleite und
kann kaum bis vierzehn zählen. Wenn Leute über Mathe
reden, sagen sie, du brauchst das, um dein Scheckbuch
auszugleichen. Was ist ein Scheckbuch, und was heißt
überhaupt ausgleichen? Apropos Süße, eine Zeitlang
arbeitete ich in einem Toffeeladen auf einer Insel. Nach einer
Woche kam es mir beim Geruch von Süße hoch, ganz zu
schweigen vom Pferdegeruch; es war eine Insel ohne Autos,
überall Scheiße. Als ich kündigte, langte mir der Besitzer eine.

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